Wein:
manchmal nichts sagende Begegnung, ewige Wiederholung
des Immergleichen, tote, versteinerte Formen,
Verweis auf die simple Angst vor dem Unbekannten.
Als wollten wir den gewohnten Geschmackseindruck noch weiter zähmen,
geben wir ihm den Namen der Rebsorte: vertraute Öde.
Mit ungezügeltem Wuchs und hohem Ertrag zeugen Rebstöcke,
Stock an Stock, wie mit dem Lineal gezogen, von dieser verzweifelten Suche
nach vermeintlicher Sicherheit, vom Verlust ethischer Werte,
vom Primat der Technologie und von Gottes Tod.
Und manchmal hinter einer Biegung: eine Parzelle, dicht bepflanzt,
kleine Rebstöcke, geduckt, zum Boden gesenkt wie Büßermönche,
Verzicht auf den Luxus künstlicher Dünger, Hingabe an die Stille,
an Sammlung und Tiefe. Mit der Hacke in der Hand lauscht der Winzer
schweigend dem verzweifelt-hoffenden Dialog einer Pflanze mit ihrem Schöpfer,
verwurzelt in der Tiefe, auf der Suche nach ihrem Selbst, einer Pflanze,
die ihr Leiden überwindet und sich dem Terroir hingibt wie einer Erlösung.
Und dann September: unbekannte Aromen, Trauben im Triumph,
überbordende Fülle subtiler und ergreifender Noten.
Symphonie einer anderen Welt. Das Terroir entfaltet sich: sanfte Musik des Sandes,
tropisches Licht des Kalks, fast metrische Strenge von Keuper, messianische Kraft
von Vulkangestein, gregorianischer Gesang des Mergels. Ursprüngliche Energie,
geologischer Zufall, Hauch des Göttlichen, unterstrichen, abgeschwächt,
transzendiert vom Tanz des Windes, von der Sonne, die sich spiegelt, vom Regen,
diesen Orientierungspunkten des Himmels, diesem klimatischen Wechsel, jeden Tag anders.
Bescheiden sind wir in unserer Mühe, unserem Handeln als Winzer
– alte Riten, ihr Sinn von den meisten schon fast vergessen.
Wie sehr wächst unser Respekt vor diesen unbeschreiblichen Kräften,
denen unsere Vorfahren Namen gegeben haben, indem sie das Kataster
der Lagen aufstellten: einzigartiger Schatz, Zeuge von so viel Anstrengung,
von so viel Arbeit, von so viel Glauben ...
Jean-Michel Deiss